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Der Mensch aus dem 3D-Drucker? Aktuelles über die Wissenschaft und Kunst des Bioprinting

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2021-04-13 08:23:00 / Aktuelles Interview
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Lebendige Blutgefäße, Haut und Organe aus dem 3D-Drucker kennen wir bislang nur aus Hollywoodfilmen und Krankenhausserien. Doch was derzeit für uns noch Zukunftsmusik ist, könnte bald Realität sein. Wie weit sind wir an diesem Punkt? Wann ist es möglich, die ersten gedruckten Organe zu transplantieren? Gemeinsam mit Mag. Dr. Michael Ausserlechner von der Medizinischen Universität Innsbruck bringen wir Licht ins Dunkel.

Können wir bald lebensfähige Organe drucken?

Die Forschung im Bereich 3D-Bioprinting ist in den letzten Jahren rasant gestiegen. Ziel dabei ist es, die komplexe Funktion und Struktur von biologischen Systemen aus menschlichem Gewebe auf ganze Organe nachzubilden und damit bestenfalls z. B. durch Transplantation Menschenleben zu retten. Im Interview mit Mag. Dr. Michael Ausserlechner gehen wir den Fragen nach, wie dieses komplexe System überhaupt funktioniert und wie weit der Forschungsstand hier derzeit ist.

Über Mag. Dr. Michael J. Ausserlechner

Mag. Dr. Michael J. Ausserlechner ist seit 2014 Assistenzprofessor an der Abteilung für Kinderheilkunde I und Leiter des Forschungslabors für Molekularbiologie der Medizinischen Universtität Innsbruck. Er studierte Mikrobiologie und machte seine MSc-Arbeit am Institut für Experimentelle Pathologie in Innsbruck in der Gruppe von Prof. Dr. Georg Wick. Im Jahr 2006 erhielt er die venia docendi (Habilitation) in Pathophysiologie. Michael J. Ausserlechner erhielt mehrere wissenschaftliche Auszeichnungen, darunter den „Preis des Fürstentums Liechtenstein für wissenschaftliche Forschung an der Medizinischen Universität Innsbruck 2005“ und den „Otto Kraup Preis 2007“. Die Hauptforschungsinteressen sind die molekulare Funktion und Regulation von FOXO-Transkriptionsfaktoren und IAPs, ihr Einfluss auf die ROS-Regulation und Ansätze zur Modulation ihrer Aktivität durch kleine, medikamentenähnliche Verbindungen.

Hintergründe, Forschungsstand und ein Blick in die Zukunft des Bioprintings

Herr Ausserlechner zunächst einmal vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns nehmen und uns für ein paar Fragen zur Verfügung stehen.
Bevor wir ins Detail gehen, können Sie mir erklären, wie Bioprinting im Allgemeinen funktioniert?

Mag. Dr. Michael J. Ausserlechner:Bioprinting lässt sich im Prinzip als eine Art des 3D-Drucks beschreiben, bei welchem wir Bio-Moleküle und lebende Zellen anstatt von Kunststoff zum Drucken verwenden und sie in einem Muster anordnen, dass sie einem von der Biologie inspiriertes lebenden Gewebe entsprechen. Dazu zählen zum Beispiel einfachere Organe, wie Haut. Wir „bauen“ also nicht etwas aus Plastik, sondern aus lebendigen Zellen und Gewebeproteinen. Der 3D Druck ist da natürlich etwas komplizierter. Da man mit lebenden Zellen arbeitet, muss man einerseits darauf achten, dass die Druckbedingungen das Überleben dieser Zellen ermöglichen, aus denen ein „Gewebeäquivalent“ konstruiert wird. Außerdem wird das lebende Gewebe nach dem 3D Druck in Nährflüssigkeit kultiviert und die Zellen beginnen sich selbst zu organisieren und weiterzuentwickeln. Dafür muss das 3D-gedruckte menschliche Gewebe dann noch eventuell mechanisch stimuliert oder anderen Bedingungen ausgesetzt werden, damit sich zum Beispiel ein funktionierender Muskel oder richtig aufgebaute Haut entwickelt.

Wenn wir uns mit dem Thema Bioprinting beschäftigen oder darüber lesen, scheint es für uns wie Science Fiction – doch wie man hört, ist es bereits wirklich möglich. So gibt es unterschiedliche Bereiche, in denen sich die Ergebnisse des Bioprinting einsetzen lassen können. Was ist Ihrer Ansicht nach der aktuelle Forschungsstand und was ist das Hauptziel, wozu wir Bioprinting in der Zukunft nutzen werden?

Mag. Dr. Michael J. Ausserlechner: Nun, ich denke, dass diese Technologie von mehr oder weniger zwei verschiedenen Anforderungen angetrieben wird. Auf der einen Seite haben wir die limitierte Anzahl von Spenderorganen, die für lebensrettende Transplantation zur Verfügung stehen. Das ist womöglich das größere Ziel – mehr Menschen zu retten, indem mehr Spenderorgane durch Bioprinting zur Verfügung stehen. Das andere große Ziel ist die Abschaffung von Tierversuchen durch menschliches Gewebe, welches durch den 3D-Drucker erstellt wird.

Der Forschungsstand bzw. die endgültige Umsetzung ist abhängig von der Komplexität des zu transplantierenden Organs. Derzeit ist es zum Beispiel immer noch herausfordernd, eine transplantationsfähige Niere zu „drucken“, da diese sehr komplex ist, aus einer Vielzahl unterschiedlicher Zelltypen besteht und eine komplizierte Substruktur hat. Diese ganzen Strukturen müssten erst einmal gedruckt und dann so zusammengesetzt werden, dass sie wirklich funktionieren und alle Zellen so arbeiten, wie sie sollen. Einfacher wäre es derzeit Hautgewebe zu generieren, welches dann beispielsweise bei Hautverbrennungen zum Einsatz kommt. Hier können dem Patienten Hautzellen entnommen werden, diese in der Zellkultur vermehrt und damit dann eine patientenspezifische, mehrschichtige Haut gedruckt werden. Da es sich dabei um die körpereigenen Zellen des Patienten handelt, minimiert sich das Risiko, dass der Patient anschließend auf das neue transplantierte Gewebe reagiert und es abstößt. Im Gegensatz zu den üblichen Transplantationen braucht es in diesem Fall auch keine lebenslange, das Immunsystem unterdrückende Behandlung. Doch das ist alles eine Sache der Komplexität – die Erstellung eines lebendigen, funktionierenden Herzens ist wie bei einer 3D-gedruckten Niere natürlich viel herausfordernder.

Das ist ein wichtiger Punkt. Bleiben wir beim Thema Organe. In den vergangenen Jahren war es möglich, in Tel Aviv ein Herz mithilfe des 3D-Druckers zu drucken, welches jedoch leider nicht funktionsfähig war. Was denken Sie, wie lange brauchen wir noch, bis wir es schaffen, diese komplexen Organe zu erschaffen?

Mag. Dr. Michael J. Ausserlechner:Das Problem ist immer noch, dass es zwar inzwischen möglich ist, die Struktur eines Herzens mit lebenden Herzmuskelzellen nachzudrucken. Das gilt für die äußere Form, aber nicht dafür wie z.B. einzelne Herzmuskelzellen, Bindegewebszellen oder Nervenzellen angeordnet sind. Das Team aus Tel Aviv hat auch Gefäße und Kammern in das Herz gedruckt, aber wir müssen berücksichtigen, dass das Herz bzw. das jeweilige Organ in unserem Körper für viele Jahre und Jahrzehnte wächst und sich entwickelt. Dabei verändern die jeweiligen Zellen auch entsprechend das Proteingerüst und hinterlassen „Markierungen“, sodass auf dem Proteingerüst des Organs die Information vorhanden ist, wie sich dort „sitzende“ Zellen entwickeln sollen und wie sie ihre Funktion ausüben. Solche Markierungen auf molekularer Ebene kann man mit dem 3D Druck derzeit nicht nachbilden. Eine Möglichkeit ist jedoch das Proteingerüst z.B. aus einem tierischen Herzen zu präparieren und diese „Matrix“ in die zu druckende „Zell-Tinte“ für den 3D-Drucker zu geben, damit immerhin die vorhandenen, organ-spezifischen Proteine mit den wichtigen Informationen übernommen werden können.

Wenn dies in Zukunft möglich sein sollte, wäre dies also nicht allein eine Chance für Patienten, die auf ein Spenderorgan warten, sondern auch für die Abschaffung von Tierversuchen. In Russland wurde unseren Recherchen zufolge angeblich schon der neue Covid-Impfstoff an gedrucktem Gewebe getestet. Können Sie uns erläutern, wie das funktioniert?

Mag. Dr. Michael J. Ausserlechner:Ja, es besteht die Möglichkeit, Lungengewebe oder mehrere funktionstüchtige Schichten von Lungengewebe zu produzieren und anhand derer auszutesten, ob z.B. mit dem Impfstoff produzierte Antikörper verhindern, dass das Covid-19 Virus an die  Zellen „andockt“. In diesem Zuge kann man dann auch die Wirkung der jeweiligen Antikörper genauer untersuchen oder nach Medikamenten suchen, die in der Zelle die Vermehrung von Viren verhindern. Es wird auch daran gearbeitet, in das Lungengewebe z.B. Immunzellen einzufügen und somit Impfstoff-Forschungen an dem gedruckten Gewebe durchzuführen – dann könnte man auch in diesem Bereich auf sehr viele Tierversuche verzichten.

An welchen spannenden Projekten arbeiten Sie und die Medizinische Universität Innsbruck derzeit?

Mag. Dr. Michael J. Ausserlechner:Eines unserer wichtigsten Projekte ist der 3D-Druck von Haut mit dem Ziel, ein sehr komplexes, lebendes Hautmodell aufzubauen, welches nicht nur die obersten Hautschichten (Epidermis und Dermis), sondern auch die sogenannte Subdermis enthält. Ziel ist es, die Haut mit feinen Blutgefäßen nachzustellen, um zu erforschen, wie beispielsweise der Wundheilungsprozess genau vonstattengeht und wie wir hier medizinische Fortschritte und Verbesserungen angehen können.

Welches persönliche Ziel liegt Ihnen beim Bioprinting besonders am Herzen?

Mag. Dr. Michael J. Ausserlechner: Unser Team ist besonders daran interessiert, mit 3D-gedruckten Gewebemodellen neue patienten-spezifische Therapieformen, insbesondere auch für kindliche Krebserkrankungen, zu entwickeln und zugleich Tierversuche in der medizinischen Forschung zu reduzieren. Um krankheitsbedingte Prozesse im Körper, innerhalb von Geweben oder Organen besser zu verstehen und Krankheiten besser behandeln zu können, ist für uns biogedrucktes, aus menschlichen Zellen aufgebautes Gewebe der ideale Weg.

Wir bedanken uns recht herzlich für das Interview, Herr Ausserlechner.

Video: Erfahren Sie mehr über Bioprinting

Noch Science Fiction oder schon Realität? Unser medsolutTV-Moderator Vincent Schneider hat sich noch einmal genauer mit dem Thema Bioprinting auseinandergesetzt und bringt Ihnen in einer neuen Episode alles zur Funktion dieser innovativen Technik, den internationalen Stand der Forschung sowie einen spannenden Ausblick in zukünftige Entwicklungen näher! Neugierig? Entdecken Sie es selbst…

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